Dienstag, 18. April 2023

Biobanking: Wie Erwartungen über zukünftige Nutzer:innen in Biobankensammlungen einfließen

In Biobanken werden Proben und Daten für die biomedizinische Forschung gesammelt. Forscher:innen des Fachbereichs Biomedizinische Ethik und Ethik des Gesundheitswesens an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften und dem Institut für Wissenschafts- und Technikforschung, Universität Wien haben untersucht, wie Proben und Daten in der Praxis kuratiert und verknüpft werden, um für biomedizinische Forschungszwecke sinnvoll genutzt werden zu können. Die Studie verdeutlicht: Für eine nachhaltige Gestaltung von Biobanken und Forschungsinfrastrukturen soll die dafür notwendige biomedizinische Arbeit sichtbar gemacht werden und die zukünftige Nutzung der Biobankensammlungen offen diskutiert werden.

Verknüpfungen zwischen Proben und Daten als Nadelöhr

In Biobanken werden Proben - wie etwa Körperflüssigkeiten oder Gewebeproben - für die biomedizinische Forschung gesammelt und aufbewahrt. Dazu ist es erforderlich Proben mit Daten zu verknüpfen. Diese Verknüpfungen bilden häufig ein Nadelöhr im Hinblick auf die Nutzung des gesammelten Materials für die Forschung. Gemeinsam mit Lisa-Maria Ferent und Ulrike Felt vom Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Wien hat Ingrid Metzler, seit November 2020 senior  post-doc am Fachbereich Biomedizinische Ethik und Ethik des Gesundheitswesens der Karl Landsteiner Privatuniversität, untersucht, wie Proben und Daten in der Praxis kuratiert und verknüpft werden und was daraus für den Aufbau und die nachhaltige Gestaltung von Biobanken gelernt werden kann. Die Wissenschaftlerinnen stützten sich dabei auf qualitative Analysen von Feldforschungsnotizen und Interviews mit Akteur:innen an fünf österreichischen Biobankprojekten, die Teil der paneuropäischen Forschungsinfrastruktur BBMRIC-ERIC sind.

Das Kuratieren von Proben und Daten in klinischen Biobanken

Bei den untersuchten Biobankprojekten handelt es sich um klinische Biobanken, das heißt, es werden Proben eingelagert, die im Rahmen einer Routinediagnostik gewonnen wurden. Um das gesammelte Material für die biomedizinische Forschung verwenden zu können, sind abseits der Probennahme und Probenlagerung eine Reihe von Arbeitsschritten erforderlich. Kliniker:innen müssen Patient:innen über die Biobankensammlung informieren und die Zustimmung zur Teilnahme einholen. Proben müssen mit eigens erhobenen und sorgfältig kuratierten Datensets verknüpft werden. Neben den sogenannten „Qualitätsdaten“, die unter anderem die Zeitspanne zwischen der Entnahme einer Probe und deren Einlagerung dokumentieren, ist es notwendig die Proben mit standardisierten klinischen Informationen zu verknüpfen. Erst aus der Verknüpfung des Probenmaterials mit Daten entsteht eine wissenschaftlich nutzbare Biobank, die es ermöglicht Material für Forschungsprojekte gezielt auszuwählen und Ergebnisse von Analysen sinnvoll zu interpretieren. Gemeinsam ist diesen Schritten, dass es sich dabei um Arbeit handelt, die häufig unsichtbar bleibt.

Vorstellungen von zukünftigen Verwendungen und Benutzer:innen

In ihrer Studie konnten die Forscherinnen zeigen, dass Erwartungen, die über die Verwendung des gesammelten Materials für die Forschung bestehen, die Art und Weise wie Proben und Daten kuratiert werden, beeinflussen. Um Platz, Energie und Arbeitsaufwand für das Aufbereiten und Aufbewahren von Probenmaterial zu sparen, wäre es theoretisch denkbar, Proben gleich zum Zeitpunkt ihrer Erhebung zu analysieren und die Ergebnisse als Daten zu speichern. Der Mehrwert einer Biobank besteht aber für viele der befragten Akteur:innen genau darin, dass das eingelagerte Material noch nicht abschließend „verdatet“ ist. Proben werden als „Rohmaterial“ gelagert, damit in Zukunft eine in der Gegenwart noch nicht im Detail absehbare wissenschaftliche Erschließung mit neuen Methoden und neuen wissenschaftlichen Fragestellungen erfolgen kann. Während bei der Planung einer Biobank häufig noch nicht im Detail festgelegt ist, für welche biomedizinischen Forschungszwecke die Sammlung angelegt wird, haben die am Aufbau der Biobanken beteiligten Akteur:innen durchaus konkrete Vorstellungen davon, wer diese Proben und Daten in der Zukunft verwenden wird und soll. Im Vordergrund steht nicht nur die gemeinsame Nutzung innerhalb bestehender Forschungspartnerschaften. Biobankensammlungen werden auch als strategisches Mittel für die Bildung neuer Kooperationen gesehen.

Beeinflussung der Proben- und Datennutzung 

Mit der vorliegenden qualitativen Forschungsarbeit belegen die Wissenschaftlerinnen, wie wichtig es ist, sich mit Erwartungen, Werten und Vorstellungen der Personen, die Proben und Daten kuratieren, auseinanderzusetzen. Um die Vision einer datengetriebenen Forschung erfolgreich umzusetzen, muss die unsichtbare Arbeit, die der Kuratierungsprozess erfordert, anerkannt und honoriert werden. Zudem braucht der Aufbau einer nachhaltigen Biobankeninfrastruktur für die biomedizinische Forschung eine breite Diskussion über die Erwartungshaltung in Bezug auf die Verwendung von Proben und Daten und den Kreis der potentiellen Nutzer:innen, einschließlich einer Stimme für diejenigen, die Proben und Daten für Biobanken bereitstellen.

Originalarbeit 

Die Forschung wurde vom Österreichischen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung gefördert. Die Publikation ist frei zugänglich im Journal Big Data & Society erschienen.  

Metzler I, Ferent L-M, Felt U. On samples, data, and their mobility in biobanking: How imagined travels help to relate samples and data. Big Data & Society. 2023 Jan. doi: 10.1177/20539517231158635