Donnerstag, 27. April 2023

Die Risikobereitschaft kann bei der Einnahme dopaminerger Medikamente steigen. Bei wem und warum?

Dr. Stephanie Hirschbichler, MSc PhD ist Leiterin der Bewegungsstörungsambulanz an der neurologischen Abteilung am Universitätsklinikum St. Pölten. Neben ihrer klinischen Tätigkeit untersucht die Fachärztin für Neurologie, ob und wie sich die Risikobereitschaft von Patient:innen mit unterschiedlichen Erkrankungen relativ zur verfügbaren Dopaminmenge verändert. Dr. Uwe Graichen vom Fachbereich Biostatistik und Data Science hat dazu ein Onlinespiel zur Quantifizierung der Risikobereitschaft implementiert.

Dr. Stephanie Hirschbichler, was genau untersuchen Sie in Ihrer Forschungsarbeit und wie sind Sie auf das Thema gestoßen?

Stephanie Hirschbichler: Ich beschäftige mich seit geraumer Zeit intensiv mit dem Morbus Parkinson, sowohl im Rahmen meiner jetzigen Tätigkeit als Ärztin, als auch während meines PhD-Studiums am University College in London (UCL). Dopaminerge Medikamente sind Mittel erster Wahl bei der Behandlung des Morbus Parkinson. Bei einem Teil der Patient:innen treten aber v.a. unter Dopaminagonisten massive unerwünschte Nebenwirkungen auf. Es kommt zu Impulskontrollstörungen (z.B. Spielsucht, Kaufsucht etc.). Vor diesem Hintergrund habe ich noch in London mit Hilfe einer Glücksspielaufgabe die Risikobereitschaft von gesunden Freiwilligen untersucht, bevor und nachdem sie ein (anti-) dopaminerges Medikament einnahmen.  Mit dieser Studie konnten wir zeigen, dass bereits die einmalige Einnahme einer dopaminergen Substanz bei gesunden Probanden signifikant die Risikobereitschaft erhöht.

 


 

Dr. Uwe Graichen, wie sind Sie im Forschungsprojekt integriert? Was ist Ihr Beitrag?

Uwe Graichen: Um die Veränderung der Risikobereitschaft zu analysieren, haben wir ein einfaches Glücksspiel mit zwei Entscheidungsoptionen implementiert. Bei den einzelnen Spielkonstellationen werden die Gewinn- und Verlust-Chancen sowie die möglichen Gewinne und Verluste variiert. Dies erlaubt die Quantifizierung der Risikobereitschaft der Proband:innen. Bisher war ein ähnliches Spiel nur stationär verfügbar (Rogers et al). In Zusammenarbeit mit Dr. Hirschbichler habe ich eine Online-Version des Spiels – also des Messinstruments für die Risikobereitschaft - implementiert. Die Umsetzung als Online-Spiel vereinfacht die Studiendurchführung erheblich und erweitert den Kreis möglicher Teilnehmer:innen. Patient:innen bzw. Proband:innen erhalten einen Link zugesandt und können von zuhause aus an der Studie teilnehmen. Die Aufgabe dauert zwischen 20 und 30 Minuten.

Stephanie Hirschbichler: Dass das Spiel jetzt online zur Verfügung steht, bringt viele Vorteile mit sich. Seltenere Patientenkohorten können besser erreicht und in unsere Studie eingeschlossen werden. Wir können so die Forschung auf dem Gebiet vertiefen und führen aktuell eine Studie zum Thema Clusterkopfschmerz online durch.

Wie genau hängen denn die beiden Themen – Clusterkopfschmerz und Impulskontrollstörungen unter dopaminerger Therapie – zusammen?

Stephanie Hirschbichler: Es gibt Hinweise, dass Patient:innen mit Clusterkopfschmerz ein höheres Risiko für Schädel-Hirn-Traumata und ein höheres Suchtpotential haben. Warum das so ist, ist noch nicht hinreichend geklärt. Wir erheben aktuell die Risikobereitschaft bei Patient:innen mit Clusterkopfschmerz und vergleichen diese mit der eines gesunden Kollektivs. Zur Therapie des therapierefraktären Clusterkopfschmerzes wurde bei einer ausgewählten Kohorte die Tiefe Hirnstimulation im Bereich des ventralen Tegmentums eingesetzt. Diese Region des Gehirns ist wiederum Teil wichtiger dopaminerger Bahnen. Ob und inwiefern die Tiefe Hirnstimulation den Dopaminspiegel verändert, suchen wir zu charakterisieren. Es geht also wieder um Dopamin und seine voraussichtlichen Wirkungen. Ultimativ streben wir die Suche nach einem Parameter zur Vorselektion an: Wird mein:e Parkinson-Patient:in von einer Therapie mit Dopaminagonisten profitieren oder besteht ein hohes Risiko auf massive Auswirkungen auf ihre Lebensqualität aufgrund einer drohenden Impulskontrollstörung?

Uwe Graichen: Der Vorteil an der jetzigen Online-Glückspielaufgabe ist, dass wir sie relativ leicht adaptieren können. Wir können das Messinstrument also an neue und unterschiedliche Fragestellungen anpassen.