Mittwoch, 06. September 2023

Müdigkeit + Erschöpfung + Atembeschwerden + Konzentrationsstörungen = „Long Covid“? Aktualisierte Empfehlungen zum Management von Post Covid-19

Unter Mitarbeit des KL-Fachbereichs Allgemeine und Familienmedizin und der beiden Klinischen Abteilung des KL-Universitätsklinikums in Tulln „Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin“ und „Neurologie“ entstand die neue S1 Leitlinie für das Management postviraler Zustände am Beispiel Post COVID-19. Mit ihr wurde die vorangegangene Empfehlung zur Differenzialdiagnostik und zu Behandlungsstrategien von Long Covid von 2021 aktualisiert und überarbeitet. Neben Informationen zu den neuesten Entwicklungen im Bereich der medikamentösen Therapie, fungiert die Veröffentlichung alle voran als Nachschlagwerk für den niedergelassenen Bereich und liefert klare Handlungsempfehlungen.

Was ist Post-Covid-19?

Nicht nur der positive Nachweis einer Sars-CoV-2-Infektion löste Furcht und Unsicherheit bzgl. der Schwere der Erkrankung bei Betroffenen auch, sondern auch das unter Long Covid bekannt gewordenen Beschwerdebild nach überstandener Infektion. Verschiedene Begrifflichkeiten wie Long Covid, Post Covid, Post Covid Syndrom, Zustand nach Post Covid Erkrankung beschreiben Beschwerden, die als Folge und in Zusammenhang mit der Sars-CoV-2 Infektion auftreten und länger als 4 Wochen nach Infektion bestehen bleiben. Zu den häufigsten zählen Müdigkeit, Erschöpfung, Schwäche und eingeschränkte Leistungsfähigkeit, Verlust von Geschmacks- und Geruchssinn, Atembeschwerden, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie Herz-Kreislaufprobleme. Die Symptomatiken weisen eine große Heterogenität auf, können sowohl nach milden als auch nach schweren Krankheitsverläufen auftreten und bis dato konnte kein eindeutiger dahinterstehender Pathomechanismus identifiziert werden. Daher ist „Post Covid-19“ bzw. synonyme Begriffe auch nicht als eine Diagnose zu verstehen, sondern beschreibt ein wiederkehrendes Phänomen, das individuell diagnostiziert und behandelt werden muss. „Die“ „Erkrankung“ Post Covid-19 und „die“ dazugehörigen Behandlung gibt es nicht.

Richtiges Vorgehen in Diagnostik und Therapie

„Nicht nur Sars-CoV-2 Infektionen können langanhaltende Beschwerden auslösen. In der Medizin kennen wir ähnliche postvirale Zustände auch nach anderen Virusinfektionen“, erklärt Dr. Susanne Rabady, Leiterin des Fachbereichs Allgemeine und Familienmedizin und Erstautorin der Leitlinie. „Die Behandlung dieser Post Covid-19 Symptome verläuft also ähnlich wie die Behandlung ähnlicher Beschwerden nach anderen Virusinfektionen. Während der Diagnostik muss erhoben werden, ob den Symptomatiken organische Schäden zu Grunde liegen und ob eine bereits zuvor bestehende Grunderkrankungen Einfluss hat“, so die Medizinerin. Wurden nach dem schrittweise durchlaufenen Diagnoseschema andere Krankheitsursachen ausgeschlossen, so erfolgt die Therapie symptomorientiert und vorwiegend nicht-medikamentös. Ärztinnen und Ärzte finden sowohl zur Differentialdiagnosestellung als auch zur Therapie konkrete und fundierte Vorgaben in der überarbeiteten S1-Leitlinie.

Off-Label Anwendungen

Das Finden der Beschwerdeursachen stellt ebenso wie die Angabe der Häufigkeit von „Post Covid-19“ eine Herausforderung dar. Es wurden viele Studien publiziert, ein Vergleich bzw. ein Zusammenfassen dieser sei auf Grund der vielen unterschiedlichen Definitionen, Einschlusskriterien und Probandenkollektive jedoch schwierig, so die Leitlinien-Autor:innen. Einen vielversprechenden Ansatz liefert der Nachweis einer verminderten Aktivität der Stresshormonachse bei Patient:innen mit Post Covid-19 Symptomen im Vergleich zu Nicht-Betroffenen. Verminderte Cortisolspiegel könnten sowohl Erschöpfung, nicht gebremste Entzündungsreaktionen sowie Herz-Kreislaufprobleme erklären. Studien zu dieser Hypothese und mit dazugehörigen Therapieansätzen laufen. Im Moment sei es aber noch zu früh, um daraus fundierte Schlüsse ableiten zu können.

Bessere Einteilung bringt fundierteres Wissen hervor

Neben Vorgehensempfehlungen zu einzelnen Beschwerden richten die Autor:innen der Leitlinie ihren Fokus auf einen optimierten Ablauf in der Patient:innenversorgung und liefern Ärzt:innen eine Entscheidungshilfe, wann welche:r Patient:in zum Facharzt oder auf Rehabilitation überwiesen werden soll. Für die Zukunft wünscht sich Dr. Susanne Rabady gemeinsam mit den anderen Expert:innen, dass Untersuchungen besser differenzieren. Es soll nach Beschwerden, die auf organischen Schäden beruhen, funktionellen Störungen und postviralen Symptomen, die auch von anderen Infektionskrankheiten bekannt sind, unterschieden werden.

Originalarbeit

Rabady S, Hoffmann K, Aigner M, Altenberger J, Brose M, Costa U et al. Leitlinie S1 für das Management postviraler Zustände am Beispiel Post-COVID-19. Wiener Klinische Wochenschrift. The Central European Journal of Medicine. 2023 Aug 9. Epub 2023 Aug 9. doi: 10.1007/s00508-023-02242-z

S1 Leitlinie

Leitlinien haben die Aufgabe, das umfangreiche Wissen (wissenschaftliche Evidenz und Praxiserfahrung) zu speziellen Versorgungsproblemen explizit darzulegen, unter methodischen und klinischen Aspekten zu bewerten, gegensätzliche Standpunkte zu klären sowie unter Abwägung von Nutzen und Schaden das derzeitige Vorgehen der Wahl zu definieren. S1 sind Handlungsempfehlung von Expert:innen, die Konsensfindung erfolgt in einem informellen Verfahren

Quelle: Leitlinien.de - Das Programm für Nationale VersorgungsLeitlinien wird getragen von BÄK, KBV und AWMF. https://www.leitlinien.de/hintergrund/leitliniengrundlagen, abgerufen am 28.08.2023